Darf das Knie im Krieger über das Sprunggelenk?!
Im tiefen Lunge (Anjaneyasana) oder in einer der Kriegerpositionen hast du aller Wahrscheinlichkeit nach schon einmal folgenden Cue gehört: „Das (vordere) Knie bleibt über dem Sprunggelenk“. Das Knie direkt über dem Sprunggelenk auszurichten ist erst einmal nicht falsch. Aber warum leiten YogalehrerInnen das an? Und warum scheint es kein Problem zu sein, eben genau diese Positionierung in anderen Asanas wie beispielsweise der tiefen Hocke (Malasana) zu finden?
Impliziert wird mit dieser Aussage, dass es schlecht oder gefährlich wäre, das Knie über das Fußgelenk hinaus zu positionieren und damit einen spitzeren Winkel im Knie zu generieren. Diese Sorge beschäftigte vor einigen Jahrzehnten auch die internationale Fitness Szene. In den frühen 90er Jahren reagierte die Amerikanische Vereinigung „National Strength and Conditioning Association“ mit einem Positionspapier und einer Sichtung der wissenschaftlichen Artikel zum Thema Squatting (ein Squat im Fitness Bereich wird in etwa wie Malasana ausgeführt – das Knie wird dabei deutlich über das Sprunggelenk hinaus geführt). Das Ergebnis (N.S.C.A. Postition Paper, 1991):
- Squats sind (bei guter Ausführung) sicher und können sogar dazu beitragen, Knieverletzungen zu vermeiden.
- Bei korrekter Ausführung schaden Squats der Knie-Stabilität nicht – sie können das Gewebe sogar widerstandsfähiger machen.
- Verletzungen durch Squats werden eher einer schlechten Technik, bereits be-
stehenden anatomischen Auffälligkeiten, Ermüdung oder exzessivem Training zugeschrieben, als der Übung selbst.
Was bedeutet das für uns? Das Knie in einer Kriegerposition direkt über dem Knie auszurichten, ist also kein Muss. Wichtiger könnte u.U. sein, ob das Knie in einer Linie mit dem Fuß (ideal: dem Strahl des zweiten Zehs) ausgerichtet ist oder nach innen oder außen „kippt“. In letzterem Fall kann es unter Umständen sein, dass das Knie größere Rotationskräfte erfährt (und aus deiner Basis-Anatomieausbildung weißt du: das Knie kann in Beugung zu einem gewissen Grad rotieren; aber eben nicht wahnsinnig viel).
Nichtsdestrotz gibt es auch noch andere Faktoren als die Biomechanik des Gelenks, die die bekannte Ansage rechtfertigen können. Eine Teilnehmerin, die beispielsweise eine Verletzung oder Schmerzen im Knie hat, hat möglicherweise Angst davor, in eine starke Kniebeugung zu kommen. Es heißt also wieder einmal: schwarz-weiß gibt’s nicht. Auch nicht in der Yoga-Ausrichtung des Knies im Lunge.