„Po anspannen oder nicht in der Kobra“ – das ist hier die Frage!

Posted: Dezember 20, 2016 By: Comment: 9

ÜBER DEN MUSCULUS GLUTEUS MAXIMUS IN RÜCKBEUGEN

Cappucchino oder Grüntee?
Süßfrühstücker oder Omlette-Liebhaber?
Butter unter die Schokocreme oder blank aufs Brot?

Nicht nur bei kulinarischen Themen sind die Gemüter gespalten. Im Yogaland gehört die Frage „Po anspannen in der Kobra?!“ zweifelsohne zu den Themen die eine angeregte Diskussion entfachen.

Die Einen sind sich sicher: „Spannung in der Pomuskulatur führt zu Kompression im unteren Rücken“. „Genau anders herum – keine Spannung in der Pomuskulatur lässt den unteren Rücken schmerzen“ – rufen die Anderen. „Liegt die Wahrheit nicht meistens in der Mitte?“ schlagen die Experimentierfreudigen vor. Die Antwort lautet – wie so oft – „es kommt drauf an“. Der geneigte Yoga-Anatomie-Nerd schließt natürlich direkt die Frage an – „worauf denn?“.

 

  1. Wie geht es deinem Hüftbeuger (v. a. M. psoas major)?
Ein verkürzter Hüftbeuger (v.a. M. psoas major) kann zu einer Verstärkung der Lordose im unteren Rücken führen
Ein verkürzter Hüftbeuger (v.a. M. psoas major) kann zu einer Verstärkung der Lordose im unteren Rücken führen

Bei Rückbeugen findet eine Streckung im Hüftgelenk statt. Dies erfordert eine Öffnung auf der Vorderseite der Hüfte. Die Hüftbeuger – allen voran der Musculus psoas major – müssen also gedehnt werden.

Wenn dein Hüftbeuger verkürzt ist, übt er zu viel Zug von der Lendenwirbelsäule zum Oberschenkelknochen aus, kippt damit das Becken nach vorne und kann so die Lordose im unteren Rücken verstärken. Dies kann zu Schmerzen im unteren Rücken führen.

Um der Verkürzung des Hüftbeugers entgegenzuwirken, kann der M. psoas major aktiv gestrecht werden. Dies geschieht durch Aktivierung des Gegenspielers – also der Hüftstrecker-Muskulatur.
Unser kräftigster Hüftstrecker ist der große Pomuskel (Musculus gluteus maximus).

Hast du also einen verkürzten Hüftbeuger, kann es von Vorteil sein, den großen Pomuskel in Rückbeugen anzuspannen, um die Hüftvorderseite zu öffnen.

 

 

 

  1. Welchen Teil des Pomuskels (M. gluteus maximus) spannst du in Rückbeugen an?

Der große Pomuskel hat verschiedene Funktionen im Hüftgelenk. Dazu gehören:

  • Streckung (Extension)
  • Außenrotation
  • Untere Fasern: Adduktion (= Bewegung der Oberschenkel zur Körpermitte hin)
  • Obere Fasern: Abduktion (= Bewegung der Oberschenkel weg von der Körpermitte)
Funktionen des großen Pomuskels (M. gluteus maximus)
Funktionen des großen Pomuskels

Von diesen Aktionen hilft uns lediglich die Streckung im Hüftgelenk bei Rückbeugen. Eine Außenrotation und Abduktion im Hüftgelenk führt im Gegensatz dazu eher zu einer Verkürzung des Hüftbeugers – und kann wiederum zu Problemen im unteren Rücken bei Rückbeugen führen.

In Rückbeugen würden wir also gerne Außenrotation und Abduktion vermeiden, aber gleichzeitig die Hüftstreckung und Adduktion (als Gegenbewegung zur Abduktion) nutzen. Wie ist das möglich?

Großer Pomuskel ist nicht gleich großer Pomuskel! Der M. gluteus maximus besteht aus zwei Teilen – einem oberen (oberflächlichen) und einem unteren (tiefen) Teil.

 

Trommelwirbel – ein kleiner Gaumenschmaus für die Anatomiefreaks: Die oberen Fasern sind faszial verbunden mit dem Muskel Tensor fasciae latae und dem iliotibialen Trakt. Sie helfen deshalb bei der Abduktion und Außenrotation.
Die tiefen Fasern sind faszial verbunden mit der Rückenstreckermuskulatur (M. erector spinae) und den Oberschenkelbeugern (ischiokrurale Muskulatur) und bilden so eine kontinuierliche längs verlaufende Verbindung zwischen Wirbelsäule und unterer Extremität. Aufgrund ihres Verlaufes unterstützen sie bei Adduktion – und für uns hier wichtig: bei der Streckung der Hüfte.

Unterschiedliche Teile des M. gluteus maximus
Unterschiedliche Teile des M. gluteus maximus

Trommelwirbel Ende – hier die Zusammenfassung für alle die, die einfach nur wissen wollen, was wir mit dieser Information anfangen: Wenn wir also eher die unteren Fasern anspannen und die oberen Fasern entspannen, können wir die Hüftstreckung unterstützen, ohne den unteren Rücken zu belasten!

 

  1. Wie kann ich üben, selektiv die unteren Fasern des M. gluteus maximus anzuspannen?

Eine Asana, bei der du dieses Prinzip vermutlich schon lange anwendest ist die Schulterbrücke. Probier’ es aus: Du spannst in dieser Rückbeuge vermutlich den Po an – und zwar genau den unteren Teil des M. gluteus maximus.

Selektives Anspannen des M. gluteus maximus (untere Fasern) in der Schulterbrücke
Selektives Anspannen des M. gluteus maximus (untere Fasern) in der Schulterbrücke

Spür in dieser Asana mit den Händen: dort wo dein Oberschenkel in den Po übergeht – süprst du die Pomuskulatur ganz fest, während die oberen bzw. äußeren Anteile locker sind. Hervorheben kannst du dieses Empfinden, indem du einen Block zwischen die Oberschenkel nimmst und so die Adduktion anstelle der Abduktion in der Hüfte unterstützt.

Auch bei Rückbeugen im Stehen kannst du dies gut mit den Händen nachfühlen. Das gleiche Funktionsprinzip gilt natürlich auch in der Kobra!

 

Den Po in der Kobra anzuspannen ist also durchaus eine gute Idee – vor allem, wenn du eine verkürzte Hüftbeuger-Muskulatur hast. Allerdings ist es entscheidend, welchen Teil der Pomuskulatur du anspannst! Vermutlich entscheiden diese Ausrichtungsprinzipien nicht einzig und allein darüber, ob Rückbeugen für dich ein süßer Gaumenschmaus oder ein saures Vergnügen sind. Aber ein bisschen ausprobieren und experimentieren mit kleinen aber feinen Nuancen sind sicher sowohl in der Küche als auch auf der Yogamatte immer einen Versuch wert!

 

Wer gerne weiterlesen mag:

  • Kendall et al. (2009): Muskeln Funktionen und Tests, Urban & Fischer Verlag
  • Stecco (2015): Functional Atalas of the Human Fascial System, Elsevier Verlag
  • Artikel „Glute-Free Backbends?“ von Roger Cole auf yogajournal.com vom 13.11.2009

Comment

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    Sureshwari

    Danke für den Artikel. Mir haben die Bilder am besten gefallen. Wie immer im Yoga gibt es nicht nur eine Wahrheit. Wenn du den unteren Rücken sicher schonen willst, lässt du die untern Rippenbögen auf dem Boden, richtig?

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      Katja Bartsch

      Danke dir! Da hast du vollkommen recht. Genau das Forschen und Experimentieren mit dem eigenen Körper unterscheidet unser geliebtes Yoga von so vielen anderen Disziplinen.
      Zu deiner Frage: Indem du die Rippenbögen in der Kobra auf dem Boden lässt, führst du eine „weniger tiefe“ Rückbeuge aus. Bei sehr „tief“ ausgeführten Rückbeugen ist es häufig unser Lendenwirbelbereich, der die mangelnde Beweglichkeit in anderen Teilen der Bewegungskette kompensiert. Indem du die Rippenbögen auf dem Boden lässt, schonst du also auch die Lendenwirbelsäule.

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    Nikola BABI

    Vielen Dank für diesen wertvollen Beitrag. Das saure Vergnügen wird sich durch regelmäßiges Üben sicher in einen süßen Gaumenschmaus verwandeln lassen. Sonnengrüße Nikola

    1. Avatar

      Katja Bartsch

      Danke dir liebe Nikola!

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    Paul

    Danke für diesen tiefen, informationsreichen Beitrag!

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    Doris Walter

    sensationelle Erklärung, liebe Katja 🙂
    ganz tolle Artikel, kurz und knackig und für alle mit den tollen Bildern, klar verständlich!
    merci, Doris

    1. Avatar

      Katja Bartsch

      Vielen lieben Dank für dein nettes Feedback Doris!! Das motiviert, mehr solche Artikel zu schreiben!

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    Katharina

    Wahnsinnig gut erklärt! Bin meeega begeistert!!!

    1. Avatar

      Katja Bartsch

      Vielen lieben Dank für dein Feedback!

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